Start-Up-Coaching an der RWTH Aachen

GAIN: Oliver, du bist auf der GAIN18 mit dem GAIN Award für die beste Start-up-Idee ausgezeichnet worden. Worum geht es bei deiner Idee genau?

Oliver: Bei meiner Gruendungsidee geht es um die Entwicklung von evidenz-basierten (d.h. wissenschaftlich fundierten) mobilen Technologien zur Förderung von Sprache und Kommunikation bei Autismus und verwandten Entwicklungsstörungen. Die Zahlen sind alarmierend: 1 aus 59 neugeborenen Kindern erhält eine Autismusdiagnose; mit einer jährlichen Zuwachsrate von 10-17% ist Autismus die am schnellsten zunehmende Störung der kindlichen Entwicklung in ganz Nordamerika (vergleichbare Zahlen existieren in anderen Ländern). Ungefähr 50-60% dieser Kinder haben aufgrund ihrer Behinderung keine Lautsprache und können nur sehr schwer mit ihrem sozialen Umfeld kommunizieren. Diese Kinder brauchen spezielle Hilfen und Fördermassnahmen, um funktionelle Kommunikation, Laut- und Schriftsprache und soziale Interaktion zu lernen. Unsere Software-Lösungen helfen bei der Kommunikations- und Sprachentwicklungstherapie bei Autismus und verwandten Entwicklungsstörungen durch den Einsatz von iPads und anderen mobilen Tablet-Computern. Diese mobilen Lösungen sind effektiver, flexibler, preisgünstiger, und einfacher in der Handhabung als traditionelle elektronische Geräte oder herkömmliche Therapiematerialien, die auf Papier und Bleistift beruhen.

GAIN: Der GAIN Award 2019 war dotiert mit einer Woche intensives Start-up-Coaching an einer deutschen Hochschule. Ausgerichtet wurde deine Mentorenwoche von der RWTH Aachen. Wie sah dein individuelles Wochenprogramm aus?

Oliver: An der RTWH Aachen wurde ein sehr umfassenden Mentoring-Programm organisiert. Alle gaben sich wirklich sehr viel Mühe! Es beteiligten sich alle wichtigen Institutionen und Experten, die sich mit Unternehmensgründung befassen: Die RWTH Innovation GmbH, das RWTH Innovation Gründerzentrum, der Lehrstuhl von Prorektor Prof. Dr. Brettel, das Rektorat vertreten durch Kanzler Dr. Nettekoven, und der digitalHUB Aachen e.V.

Montag: Die Woche startete mit einem intensiven Gründer-Coaching am Gründerzentrum und Lehrstuhl Prof. Dr. Brettel. Die erfahrenen Gründer-Coaches halfen mit der Erstellung eines Business-Model Canvas; anschließend stiegen wir in die Wettbewerbs- und Marktanalyse ein und zum Ausklang des Tages gab es ein Pitch-Training, um mein Slide Deck zu optimieren.

Dienstag: Am Dienstag standen Besuche am Universitaetsklinikum Aachen und am Lehrstuhl Informatik auf dem Programm. Es gab Expertengespraeche und Erfahrungsaustausch mit anderen Forschern, die ebenfalls im Technologietransfer und in der Unternehmensgruendung taetig sind.

Mittwoch: An der Abteilung fuer Drittmittelmanagement erhielt ich einen Ueberblick ueber Foerderprogramme fuer Forschung, Technologieentwicklung und –Transfer. Anschliessend ging es zur digitalCHURCH und zum digitalHUB Aachen e.V., einem neuen Oekosystem, um die Digitalisierungsbewegung in der Region Aachen voranzubringen. Die digitalCHURCH ist ein Coworking Space, in dem digitale Start-ups entstehen und sich mit der Industrie verbinden. Hier sprach ich mit anderen Gruendern und Investoren. Der Tag endete mit der Vorstellung meiner Idee und meines business models bei einem etablierten Finanzinvestor.

Donnerstag: Nach einer Campus-Tour ging es zum Mittagessen mit Kanzler Dr. Nettekoven und Prorektor fuer Wirtschaft und Industrie, Prof. Dr. Brettel. Am Nachmittag folgte ein weiteres Expertengespraech am Lehrstuhl fuer Bildverarbeitung; und am Abend besuchte ich das 1. Regionaltreffen der Gruenderszene Aachen in der digitalCHURCH. Dort konnte ich meine Start-up Idee pitchen und wertvolles Feedback erhalten.

Freitag: Der Vormittag startete mit einer IP-Beratung an der RWTH Innovation GmbH, hierbei ging es in erster Linie um Fragen der Technologie-Lizensierung. Den Nachmittag verbrachte ich am Autismus-Therapie-Zentrum Aachen, um dort unsere Technologie vorzustellen. Die Woche endete mit einer gemuetlichen Fuehrung durch die Aachener Innenstadt.

Insgesamt haette das Programm nicht besser sein koennen!

GAIN: Deine Start-up-Idee des Research-based Therapy tools SPEAKall! und SPEAKmore! soll Kindern mit Autismus bei der Kommunikation unterstützen. Gab es wichtige Punkte, die deine Start-up Kolleginnen und Kollegen erfahren wollten? Was haben sie dir mit auf den Weg nach Deutschland gegeben?

Oliver: Meine Kolleginnen und Kollegen aus den USA wollten gerne mehr ueber die Start-up Kultur und –Foedermoeglichkeiten in Deutschland erfahren. Haeufig gibt es die Meinung, dass die Deutschen sehr risiko-aversiv sind und kaum start-ups gruenden. Man hoert auch immer wieder, dass es in Deutschland keine Kultur fuer Risikokapital gibt, um Start-ups in der Wachstumsphase zu foerdern.

Meine Erfahrungen an der RWTH Aachen widerlegen jedoch diese Vorurteile: Schon jetzt gilt die RWTH Aachen als eine der besten Gruenderhochschulen in ganz Europa. Es entsteht dort der groesste vollintegrierte Technologie-Inkubator Europas. Spitzenforschung der Exzellenz-Universitaet, Anbindung der Industrie und Unternehmen auf dem RTWH Aachen Campus und Start-up Foerderung kommen zusammen, um ein einzigartiges Umfeld zu schaffen. Ich war beeindruckt, wie start der Gruendungsgedanke in der RWTH Kultur verankert ist. Unternehmerisches Denken und Handeln war auch ein zentraler Aspekt der Bewerbung in der Exzellenzinitiative und wie man gerade gesehen hat (in den Nachrichten), ist die RWTH wieder mit dem Exzellensstatus belohnt worden. In puncto Start-up Kapital fand ich es klasse, dass ich sofort mit Finanzkapitalgebern in Kontakt kam, und es gleich viele positive Gespraeche und Unterstuetzung fuer meine Gruendungsidee gab.

Und noch ein Vorurteil hat sich widerlegt: in den USA denken die Research Universities, dass sie in puncto start-up Gruendungen Spitze sind, wenn es pro Jahr etwa 25-30 Ausgruendungen gibt. An der RWTH werden pro Jahr bis zu 90 neue Unternehmen gegruendet, sie bewegt sich damit im internationalen Vergleich im Spitzenfeld.

GAIN: Das Coaching-Programm hatte zum Ziel, deine Start-up-Idee zu überprüfen und auszubauen. Gab es Überraschungen?

Oliver: Ja, es gab mehrere positive Ueberraschungen. Ich kam am Freitag nachmittag am Autismuszentrum Aachen an und hatte dort ein Gespraech mit der Leitung: Es gibt dort ca. 350 Klienten mit Autismus, 70 davon koennten sofort solch eine Loesung, wie wir sie anbieten, gebrauchen. Man sieht auch dort starke Zuwachsraten, so dass in Dueren ein weiteres Autismuszentrum errichtet wurde.

Fuer die Validierung des eigenen business models ist es gut zu sehen, dass es einen steigenden Bedarf gibt.

Ausserdem war es ueberraschend, wie viele meiner vielfaeltigen Gespraechspartner von dem Thema “Autismus” in der ein oder anderen Weise betroffen waren. Eine Kollegin an der RWTH Innovation GmbH hat eine Schwester, die Sonderpaedagogik studiert und die auch unsere Software fuer ihre Arbeit mit autistischen Kindern gebrauchen kann (ich bereite gerade eine Evaluationsversion vor). Ein anderer Gespraechspartner hatte eine Schwester, die am Autismuszentrum in Augsburg arbeitet und hat dieser von unserer Software erzaehlt. Auf diese Weise habe ich in sehr kurzer Zeit viele neue Kontakte geschlossen. Das haette ich so nicht erwartet.

GAIN: Welche wichtigen Impulse hast du für SPEAKall! und SPEAKmore! erhalten?

Oliver: Beim Business Model Canvas Workshop haben wir herausgefunden, dass es neben den Institutionen und Privatkunden noch ein drittes, potentielles Kundensegment gibt, naemlich andere Forschungslabore und Trainingsprogramme, die einige Teile meiner IP (wie z.B. cloud based content sharing oder tracking of learner progress) fuer ihre eigenen Anwendungen gebrauchen koennten. Ausserdem haben wir eine Strategie erarbeitet, die Technologie auf weitere Patientenpopulationen auszudehnen, damit kann man das business model besser skalieren.

Bei dem steigenden Bedarf in Deutschland und dem zunehmenden Interesse an Digitalisierung waere es sicherlich auch gut, wenn wir eine komplett deutsche Version unserer Software haetten.

GAIN: Konnten Maßnahmen zur Umsetzung deiner Start-up Idee formuliert werden? Was sind die nächsten Schritte, die du und dein Team jetzt gehen werden?

Oliver: Wie viele andere GAIN-Teilnehmer auch, strebe ich in naher Zukunft eine Rueckkehr in die deutsche Forschungslandschaft an und bin gerade in einigen Berufungsverfahren. Das beste Ergebnis dieser Coaching-Woche ist, dass ich nun genau weiss, wie ich bei einer Rueckkehr nach Deutschland ein Start-Up gruenden kann, um unsere Technologie an den Markt zu bringen. Ich bin bestens informiert ueber die Foerdermittel und -moeglichkeiten, habe viele Kontakte zu potentiellen Kunden und Partnern gewonnen, und bin mir sicher, dass die Finanzierung machbar ist.

Unabhaengig davon, wohin ich mit dem Forschungslabor ziehen werde, sind die naechsten Schritte klar: mit der ehemaligen Universitaet muss die IP Situation geklaert werden (bei Forschern/Professoren gehoert die IP aus Entwicklung und Forschung der jeweiligen Hochschule). Ich muss herausfinden, ob es moeglich ist, bestehende Patente abzukaufen oder zumindest eine exklusive Lizenz fuer die Technologie zu bekommen. Ein Lizenzvertrag mit der ehemaligen Uni bildet dann die Basis, um an den Markt zu gehen und weitere, neue IP zu entwickeln. Noch laufende Patente muessen verteidigt und abgeschlossen werden, um ein zukuenftiges Start-up gut zu positionieren. Sobald ich dann weiss, ob es mit der Rueckkehr nach Deutschland klappt, wuerde ich einen Foerderantrag fuer Technologietransfer schreiben (z.B. EXIST-Forschungstransfer oder –Gruenderstipendium); ich denke, diese Foerderprogramme sind sehr gut, um in Deutschland ein Start-Up aus der Forschung heraus zu gruenden. Rundherum war es eine sehr produktive und informative Woche, in der ich sehr viele neue Impulse gesammelt habe.