Interview mit Dr. Edgar-John Vogt

Dr. Edgar-John Vogt

Nach einem langjährigen Forschungsaufenthalt an den National Institutes of Health kehrte Dr. Edgar-John Vogt Ende 2018 nach Deutschland zurück und koordinierte die Berlin School of Integrative Oncology an der Charité. Heute berät er als Projektmanager und Company Scout bei German Accelerator ausgewählte Startups im Bereich Life Science. Während seiner Zeit in den USA war er Koordinator des GSO/GAIN-Stammtisches in Washington, D.C. und Mitglied im GAIN-Beirat.

GAIN: Edgar, Du hast sechs Jahre an den National Institutes of Health (NIH) in Bethesda, Maryland, geforscht. Berichte uns doch kurz, wie es dazu kam und was Dein Forschungsschwerpunkt war.

Dr. Edgar-John Vogt: Die USA waren für mich nicht unbekannt, weil ich bereits für mein Bachelorstudium im Fach Biologie mehrere Jahre an der US-Westküste gelebt habe. Nach der Fortsetzung des Biologiestudiums und der anschließenden Promotion an der Universität Bielefeld stellte sich für mich wie auch für viele andere meiner Kommilitonen die Frage, welchen Karriereweg man nach der Promotion verfolgen will. Als Postdoc in der akademischen Forschung bleiben? Als Pharmareferent in die Industrie gehen? Oder doch was ganz anderes beruflich machen? Ich entschied mich damals für die Forschung und wollte dafür auch nochmal in das Ausland gehen, bevorzugt in die USA oder England. Der tatsächliche Weg an das NIH folgte aus privaten Gründen nicht direkt nach der Promotion, sondern zweieinhalb Jahre später nach meiner ersten Postdoc-Stelle in Göttingen.

Meine Forschungsprojekte sowohl im Rahmen der Promotion als auch während meiner Postdoc-Zeit adressierten verschiedene zell- und entwicklungsbiologische Aspekte vor und nach der Befruchtung. Der Wechsel an das NIH in das Labor von Dr. Jurrien Dean bot mir die Möglichkeit, in ein für mich weniger vertrautes Gebiet wissenschaftlich einzutauchen als auch neue methodische Kompetenzen zu erlangen. Sein Labor war bekannt für wichtige und bahnbrechende Studien auf dem Gebiet der Reproduktionsbiologie. Mit Hilfe von genetischen Mausmodellen und neuesten Bildgebungsverfahren untersuchte ich am NIH die Interaktion von Eizelle und Spermium, und den intrazellulären Prozess, der die Eizelle davor schützt, nur von einem Spermium und nicht mehreren befruchtet zu werden. Dieses wäre für die frühe Embryonalentwicklung letal und ist eine mögliche Ursache für Unfruchtbarkeit bei der Frau.

GAIN: Wie unterscheidet sich Deiner Ansicht nach das wissenschaftliche Arbeiten in den USA von dem in Deutschland? Was können sich deutsche Institutionen von den amerikanischen Kollegen abschauen, an welchen Stellen könnten die USA dazulernen?

Dr. Edgar-John Vogt: Das wissenschaftliche Arbeiten an einer Einrichtung wie dem NIH ist selbst für amerikanische Verhältnisse sehr außergewöhnlich. Das NIH ist die wichtigste Behörde zur Finanzierung biomedizinischer Forschung in den USA. Während 80 Prozent des jährlichen NIH Budgets an Universitäten, Unikliniken und andere außeruniversitäre Forschungseinrichtungen fließt, geht circa zehn Prozent des Budgets in die Forschung der eigenen NIH Labore. Diese großzügige finanzielle Ausstattung bietet Wissenschaftlern am NIH die Möglichkeit, Forschungsvorhaben schnell voranzubringen, aber auch risikobehaftete Forschungsideen zu testen. „Es gibt keinen Grund, ein Experiment nicht zu machen oder zu warten“ und in der Tat gab es keine finanziellen Einschränkungen in meinem Projekt oder den Projekten meiner Kollegen. Das war für mich als Wissenschaftler schon eine sehr außergewöhnliche Erfahrung und es hat als Konsequenz auch eine gewisse Kreativität freigesetzt. Dennoch haben sich trotz dieser Freiheit die deutschen Tugenden durchgesetzt, Mittel effizient einzusetzen. Was ich ebenfalls als äußerst positive Erfahrung am NIH erlebt habe, ist die Offenheit gegenüber Ideen und Kollaborationen, die daraus resultieren. In meinem Projekt habe ich mit unterschiedlichen Expertengruppen und hochrangingen Wissenschaftlern am NIH zusammengearbeitet, um neue Hochdurchsatz-Bildgebungsinstrumente und Verfahren an der Eizelle zu testen. Dazu zählten Datenwissenschaftler, Biophysiker und Ingenieure. Das Ergebnis dieser erfolgreichen Zusammenarbeit war eine hochrangige Publikation.

GAIN: Was hast Du aus dieser Zeit mitgenommen und wie kam es zu dem Entschluss nach Deutschland zurückzukehren?

Dr. Edgar-John Vogt: Die Postdoc-Zeit in den USA und am NIH waren sehr besondere und unvergessliche Jahre in meiner Vita. Es sind viele neue Kontakte und Freundschaften mit Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern entstanden. Diese Diversität war besonders im Labor sichtbar, wo meine Kollegen aus Japan, Korea, China, Iran, Italien, Mexiko und Russland stammten. Aber auch das NIH mit seinen über 3000 Postdocs war ein globaler Mikrokosmos. Mein NIH Mentor und Betreuer sagte einmal zu mir: „Edgar, als ich jung war, bin ich viel in der Welt gereist, um andere Menschen und Kulturen kennen zu lernen. Jetzt muss ich nicht mehr so viel reisen, weil Stipendiaten wie Du aus der ganzen Welt zu mir ins Labor kommen.“ Es spiegelt sehr gut die Vielfalt wider, die auch ich während meiner Zeit am NIH und den USA gespürt habe.

Die Zeit wird auch aus einem anderen Grund in besonderer Erinnerung bleiben, weil ich meine deutsche Lebensgefährtin, die ebenfalls als Postdoc am NIH forschte, kennengelernt habe. Washington war meine und unsere zweite Heimat, wo wir uns beide sehr wohl gefühlt haben. Ich kannte die Stadt nur aus dem Fernsehen und konnte mir im Vorfeld nicht wirklich vorstellen, wie es sich im politischen Epizentrum leben lässt. Wir beide haben Politik sehr viel bewusster war genommen und mein Interesse für (wissenschafts-) politische Themen hat während dieser Zeit sehr zugenommen. Durch GAIN und den Stammtisch sind wiederum Kontakte zu der Deutschen Botschaft und anderen politischen Einrichtungen in Washington entstanden, was dazu führte, dass ich mich mehr als vorher in politischen Zirkeln bewegt habe. Das war auf jeden Fall eine große Bereicherung.

Die Zeit in den USA war aufgrund der Laufzeit des NIH Forschungsstipendiums für mich und meine Lebensgefährtin von Anfang an auf maximal fünf bis sechs Jahre begrenzt, sodass der Entschluss, nach Deutschland zurückzukehren, bereits früh feststand. Glücklicherweise hat das Timing für uns beide gut gepasst und wir konnten gemeinsam im gleichen Jahr zurückkehren.

GAIN: Während Deiner Zeit in den USA hast Du Dich als Mitglied des GAIN-Beirats und als Koordinator des Wissenschaftler-Stammtisches in Washington D.C. engagiert. Welche Erfahrungen hast Du in diesen Rollen gemacht? Wie hat Dir der Austausch und die Vernetzung mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern innerhalb der GAIN-Community geholfen?

Dr. Edgar-John Vogt: Das Engagement im GAIN-Beirat und im Wissenschaftler-Stammtisch hat besonders viel Spaß gemacht und beides waren tolle Plattformen, um sich mit anderen deutschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu vernetzen. Zum Stammtisch bin ich gleich am Anfang gekommen. Als Neuankömmling am NIH hat mir mein Institut eine Deutsche als „Buddy“ zur Orientierung zugewiesen und wie es der Zufall wollte, fand in meiner ersten Woche der monatliche Stammtisch in Bethesda statt. Sie hat mich sofort mitgenommen und ich habe auf diesem Weg sofort viele andere Deutsche, hauptsächlich aus dem NIH Umfeld, kennengelernt. Diese Vernetzung mit der lokalen Community besonders am Anfang, wenn man gerade alleine neu im Land und in der Stadt angekommen ist, machte den Einstieg für mich sehr viel einfacher. Ich habe mir gleich ein paar praktische Tipps eingeholt und mit dem einen oder anderen Stammtischkollegen haben sich über die Jahre auch gute Freundschaften entwickelt. Als Randnotiz möchte ich auch erwähnen, dass ich meine Lebensgefährtin über den Stammtisch kennengelernt habe. Daher hat der Stammtisch für mich privat durchaus einen sehr hohen Stellenwert.

Um die Vernetzung und den Austausch mit deutschen Kolleginnen und Kollegen im Washingtoner Raum zu erweitern, war ein Impuls als Stammtisch-Koordinator, den Kontakt zum Büro der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Deutschen Botschaft zu verstärken. Eine schöne Initiative war die gemeinsame Weihnachtsfeier in den Räumlichkeiten der DFG. Auch darüber hinaus organisierten wir diverse Netzwerkveranstaltungen zusammen, wenn sich zum Beispiel interessante Gäste aus Deutschland in der Stadt befanden. Der Stammtisch fand nun auch regelmäßig im monatlichen Wechsel zwischen Bethesda und Washington statt, um auf diese Weise andere Deutsche, die nicht unbedingt am NIH tätig sind, zu erreichen.Neben der Stammtisch-Koordination habe ich mich auch als Mitglied im GAIN-Beirat engagiert und dort tolle Erfahrungen sammeln können, die sich rückblickend sehr positiv auf meinen beruflichen Werdegang ausgewirkt haben. Ein Highlight war sicherlich jedes Jahr die GAIN-Konferenz, die normalerweise in Boston oder in San Francisco stattfand, 2016 aber nach Washington verlegt wurde. Die Konferenzen waren immer eine exzellente Gelegenheit zum Netzwerken, um sowohl mit anderen deutschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in den USA als auch Entscheidungsträgern aus Wissenschaft und Politik ins Gespräch zu kommen. Als Beiratsmitglied habe ich ebenfalls eigene Impulse in das GAIN-Netzwerk einbringen können. Besonders das Thema Mentoring war mir sehr wichtig und zusammen mit einem anderen Beiratskollegen habe ich eine strategische Konzeptionierung, wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit einem Mentoring-Programm in den USA unterstützt werden können, erarbeitet. Diese wurde dann auf der GAIN-Konferenz 2017 in San Francisco vorgestellt. Aufgrund des sehr positiven Anklangs, habe ich das Thema „Mentoring und Coaching“ in einem weiteren Treffen in Washington mit verschiedenen Stakeholdern aus der Akademie und Wissenschaft bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft aufgearbeitet und diskutiert.

GAIN: Die Rückkehr nach Deutschland markierte auch einen beruflichen Perspektivwechsel – von der Forschung als Postdoc im Bereich Zell- und Fortpflanzungsbiologie zum Forschungsmanagement an der Charité. Was hat Dich zu diesem Schritt bewogen? Welche Skills konntest Du aus Deiner vorherigen Erfahrung in den USA mitbringen, wo musstest Du dazulernen?

Dr. Edgar-John Vogt: Ich habe mich bereits vor meiner Rückkehr nach Deutschland entschieden, dass ich einen beruflichen Perspektivwechsel vornehmen möchte und begann frühzeitig mit dem Bewerbungsprozess auf nicht-akademische Stellen aus den USA heraus. Trotz einiger Jobinterviews kam es zu keinem konkreten Jobangebot. Meine Lebensgefährtin befand sich zu der Zeit schon in Deutschland und ist als Projektleiterin bei einem Veterinärpharmaunternehmen tätig. So bin ich erst einmal ohne einen Job nach Deutschland zurückgekehrt und startete den Bewerbungsprozess von neuem. Ein Bereich, der mich vor allem interessierte, war das Wissenschaftsmanagement. Das lag unter anderem auch daran, dass ich mich sowohl in Deutschland als auch am NIH als Mentor für den wissenschaftlichen Nachwuchs engagiert habe. Auf einem Jobportal bin ich auf die Stellenausschreibung an der Charité gestoßen, wo eine wissenschaftliche Koordination für die Berlin School of Integrative Oncology gesucht wurde. Die Stellenbeschreibung hörte sich sehr interessant an und passte gut zu meinem Profil, insbesondere weil eine Wissenschaftlerin oder ein Wissenschaftler wünschenswerterweise mit Forschungs- und Auslandserfahrung die Koordination der Graduiertenschule übernehmen sollte. Nach dem Bewerbungsgespräch mit dem Sprecher der Graduiertenschule wurde schnell klar, dass es für beide Seiten gut passen würde und die weiteren Schritte bis zur Anstellung gingen danach sehr zügig. Interessanterweise wurde gerade mein Engagement bei GAIN sehr positiv bewertet, was wiederum die These unterstützt, dass ehrenamtliche Aktivitäten sich durchaus gut auf dem Lebenslauf machen. Da meine eigene Promotion schon einige Jahre zurücklag, musste ich mich am Anfang intensiver mit bildungspolitischen Themen und Regularien befassen.

GAIN: Seit Oktober 2019 bist Du nun Projektmanager und Company Scout bei German Accelerator, einem Förderprogramm, das vielversprechende deutsche Startups beim Eintritt u.a. in den US-amerikanischen Markt unterstützt. Inwiefern hilft Dir bei dieser Aufgabe die berufliche Erfahrung und Perspektive, die Du auf beiden Seiten des Atlantiks sammeln konntest?

Dr. Edgar-John Vogt: Ich hatte bereits erste Kontakte zum German Accelerator in den USA gehabt und eine Kollegin aus dem Bostoner Life Science Team auf der GAIN-Konferenz kennengelernt, wo sie in der Jury für die Pitch Veranstaltung saß. Startup und Entrepreneurship waren bereits in vorangegangenen GAIN-Konferenzen ein Thema gewesen, was auch damit zu tun hatte, dass zwei Mitglieder im Beirat Entrepreneure waren. Mich hat dieses Ökosystem sehr fasziniert und ich hatte auch in meinem NIH Umfeld Bekannte, die ihre eigene Firma gegründet oder ein Patent aus den eigenen Forschungsergebnissen angemeldet haben. Wie es dann der Zufall wollte, hat der German Accelerator für das Life Science Team in Deutschland Verstärkung gesucht und ich habe nochmal die Gelegenheit für einen beruflichen Perspektivwechsel genutzt. Wir arbeiten sehr eng mit den Kollegen in Boston zusammen, von wo aus unser Team ausgewählte Life Science Startups und ihre Gründer aktiv mit Know-How und strategischer Beratung begleitet. Mein Life Science Hintergrund, aber auch meine mehrjährige Auslandserfahrung in den USA helfen mir immens in meiner aktuellen Rolle, weil ich sehr viele Gespräche mit Gründern führe, die früher selbst als Wissenschaftler an der Uni oder Forschungseinrichtungen tätig waren. Daher dreht sich automatisch sehr viel um die Wissenschaft, wenn über das Produkt des Startups gesprochen wird.

GAIN: Hast Du einen konkreten Ratschlag für Expats, die vorhaben, nach Deutschland zurückzukehren?

Dr. Edgar-John Vogt: Das ist eine sehr gute Frage. Ich habe bei meiner Rückkehr nach Deutschland sicherlich nicht mit so großen Hürden bei der Jobsuche gerechnet, insbesondere in Zeiten von Fachkräftemangel. Ich war bereits vor meiner eigentlichen Rückkehr ein dreiviertel Jahr auf Jobsuche mit mehr oder weniger mäßigem Erfolg. Glücklicherweise hat es mit der Stelle an der Charité relativ schnell geklappt, aber ich habe mich schon gefragt, ob ich mich erst in Deutschland befinden muss, um erfolgreich auf dem Arbeitsmarkt zu sein. Aber wie ich aus Gesprächen mit anderen Expats erfahren habe, ist meine Erfahrung keine Ausnahme und es kann für Rückkehrer in der Tat etwas länger dauern, den richtigen Job zu finden. Daher wäre mein Ratschlag: Bringt auf jeden Fall Geduld mit, baut das eigene Netzwerk so früh wie möglich auf und pflegt Eure Kontakte.

Das Interview ist vom 14. Mai 2020.